Immortal Bach
4.6.2023
Im Rahmen meines Projekts „follow me with bach“ habe ich 2021 sämtliche Sonaten und Partiten für Violine Solo von J.S.Bach (BWV 1001-1006) an einem Tag in Würzburg in der Wallfahrtskirche „Käpelle“, der Hofkirche der Residenz aber auch an einem ungewöhnlichen Ort, dem Würzburger Hauptbahnhof aufgeführt. Das Konzert im Bahnhof war eine der intensivsten Erfahrungen, die ich als Musikerin je machen durfte. Denn in dieser ungewohnten Umgebung, dem dort bestehenden Umgebungslärm und im Kommen und Gehen des von der Musik überraschten Publikums hat Bach, für alle faszinierend, eine ganz andere Kraft entfaltet als im Konzertsaal. Von Bach im Bahnhof wurde Bahnhof in Bach.
In meinem aktuellen Projekt "Immortal Bach" möchte ich nicht nur den örtlichen Rahmen verfremden, sondern auch den musikalischen. Durch meine Begegnung mit Komponisten wie Bertold Hummel (Aufnahme der "Suite für Violine Solo" für den BR) , Jörg Widmann (Uraufführung seiner „Étude V“ für Violine Solo 2008) u.a. habe ich erfahren dürfen, dass Bachs Schaffen nach wie vor die Grundlage und Referenzpunkt für Werke Neuer Musik ist.
Es ist mir ein Anliegen, die Bezüge zwischen Bachs Werken und heutigem kompositorischen Schaffen herauszuarbeiten und zu zeigen, dass seine Musik Verbindungen und Brücken nicht nur über mehrere Jahrhunderte hinweg stiften, sondern generell scheinbar Unverbundenes, Getrenntes überwinden kann.
Johann Sebastian Bachs "Adagio" der Sonate Nr.1 g-moll klingt nach dem Schlusston der "Ètude V" von Jörg Widmann wie eine Rückkehr zum musikalischen Grundstein. Die Partita Nr.1 h-moll, BWV 1002 mit der konsequent durchgeführten Form Tanzsatz mit nachfolgendem Double erschloss sich mir nochmal neu in dem (intuitiv) von mir zusammengestellten Programm mit "Kontraste" des koreanischen Komponisten Isang Yun, dessen musikalisches Schaffen auf der fernöstlichen Philosophie des Taoismus beruht.
Diese beispielhaften Gegenüberstellungen stiften Brücken zwischen unterschiedlichsten Kulturen in Ost und West, das Lebendige mit dem Vergangenen, lassen die scheinbar unverrückbare Struktur in Bachs Musik wie unter der Lupe erscheinen, dass wir Musik durch die wechselnden zeitlichen Perspektiven im Hier und Jetzt noch einmal neu und anders erleben können.
In diesen Zeiten, die oft eine Endzeitstimmung in mir auslösen, hoffe ich, in "Immortal Bach" Versöhnliches und Verbindendes zu finden.