"Und jetzt mach mal Musik!"-Erinnerungen an Thomas Brandis
19.4.2023
Für ein Konzert bestehend aus einem Programm ausschließlich für Violine Solo „wärme“ ich wieder die Solosonate von Béla Bartók auf. Ein großes Werk, welches ich bei Prof. Thomas Brandis in Lübeck studiert habe. Seine handschriftlichen Kommentare erinnern mich lebhaft an ihn und meine Studienzeit an der Musikhochschule Lübeck.
Er war Konzertmeister der Berliner Philharmoniker unter Herbert von Karajan und seinerzeit einer der führenden Violinpädagogen erst an der UdK Berlin und nach seiner Pensionierung an der Musikhochschule Lübeck als Honorarprofessor. Zu seinen Schüler zählen David Garrett, Renaud Capucon, Viviane Hagner, um nur einige zu nennen. In unzähligen Kulturorchestern wie den Berliner Philharmonikern, Gewandhaus Leipzig u.a. sind seine ehemaligen Schülerinnen und Schüler Mitglieder bzw. bekleiden Konzertmeisterpositionen. Er war eine sehr beeindruckende Persönlichkeit mit seiner weißen Wasserwelle und im Unterricht war es immer eine große Herausforderung vor ihm zu spielen, da allein seine Präsenz eine unglaubliche Energie ausstrahlte. Ein Sanguiniker durch und durch. Er riss mit seinem Temperament und seiner Leidenschaft für die Musik mit und jede Unterrichtsstunde war eine Herausforderung, aus sich hinauszugehen und volles Risiko zu spielen. So empfand ich es zumindest.
Mittlerweile legendär ist für mich auch seine gängige Aufforderung: „und jetzt mach mal Musik!" Dabei ging er so emotional und temperamentvoll mit der Musik mit, dass der Tisch, an dem er saß, wackelte. Es gab keine Stunde, nach der ich nicht verschwitzt rausgekommen wäre.
Der Unterricht bei ihm lief immer so ab: erst einmal spielte man das ganze Stück wie im Konzert durch. Danach stellte er in wenigen, kurzen Sätzen seine „Diagnose“. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, bin ich als Pädagogin umso mehr beeindruckt, wie punktgenau treffend seine Einschätzungen und Kritikpunkte, aber auch Lobesworte waren.
Wenn er durch die Hochschule ging, grüßte er alle, denen er begegnete. Vom Pförtner zu den Studenten und Professoren. Er hatte ein großes Selbstbewusstein, erzählte uns Studenten aber auch von seinen eigenen Misserfolgen in seiner Karriere, was ihn sehr menschlich machte.
Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich an ihn denke, aber im Grunde genommen, ist er immer präsent. Als ich in einem Konzert in Berlin letzten Dezember mit meinem Duopartner Marco Grisanti „Trockne Blumen“ von Schubert das euphorische Finale spielte, durchfuhr mich eine Energie, bei der ich unweigerlich dachte, das kommt jetzt von Thomas Brandis!